VIRTUELLE WIEDERAUFERSTEHUNG

Der Synagoge am Michelsberg

Bau

Am 13. August 1869 wurde in Wiesbaden die von Oberbaurat Philipp Hoffmann erbaute Synagoge am Michelsberg eingeweiht. Im maurischen Stil entworfen, war sie Ausdruck des neugewonnenen Selbstbewußtseins der jüdischen Gemeinde. Ihr imposantes und farbenprächtiges Aussehen hob sie von den umliegenden Gebäuden ab und prägte das Stadtbild Wiesbadens.

Brand

In der Pogromnacht vom 9./10. November 1938, als in ganz Deutschland die Synagogen brannten, setzten Nationalsozialisten auch die Hauptsynagoge am Michelsberg in Brand, wodurch das Gebäude fast völlig zerstört wurde. Die Ruine wurde ein Jahr später bis auf den Sockel abgetragen.

1950 wurde dann auch noch diese letzte Erinnerung aus dem "Blickfeld" der Wiesbadener Öffentlichkeit entfernt. Im folgenden Jahr wurde die Coulinstraße erweitert und führt seitdem über das Gelände der ehemaligen Synagoge am Michelsberg. Auf dem verbleibenden Grundstück entstand eine Grünanlage. 1970 - 72 wurde im Rahmen des Verkehrskonzeptes einer autogerechten Stadt eine Hochstraße, parallel zur Coulinstraße, gebaut. Diese bauliche Maßnahme bildete den Abschluß eines Prozesses der völligen Entwürdigung dieses einst geweihten Ortes. In der Folgezeit gab es immer wieder Initiativen, die einen neuen Umgang mit dem Platz und seiner Geschichte forderten. Der Architekt Heinrich Lessing entwickelte zum Beispiel 1995 im Rahmen seiner Diplomarbeit ein Konzept, das unter anderem einen Abriß der Hochbrücke und die Einrichtung einer Gedenkstätte vorsah.

Idee

Von dieser Anregung ausgehend, initiierte Dipl. Des. Edgar Brück im März 1998 an der Fachhochschule Wiesbaden eine Studienarbeit mit dem Ziel, die ehemalige Synagoge am Michelsberg durch eine Computeranimation zu rekonstruieren.Spontan bildeten acht Studierende des Studienganges Innenarchitektur der Fachhochschule Wiesbaden ein Team für die Hochschularbeit "memo 38". Das Projekt wurde in 2 Bauphasen gegliedert und der erste Bauabschnitt - die Rekonstruktion der Außenarchitektur - durch dieses Team realisiert. An der zweiten Bearbeitungsphase - der Innenraumrekonstruktion - war ein auf 17 Mitglieder angewachsenes Team - Studierende und AbsolventInnen - beteiligt. Unterstützt wird die Gruppe "memo 38" von drei weiteren KommilitonInnen durch zahlreiche Öffentlichkeitsaktivitäten.

Die baugeschichtliche Betreuung erfolgte durch Prof. Dr. Falk Krebs und Dipl. Ing. Paulgerd Jesberg. Schon bei Projektbeginn wurde klar, wie nachhaltig die Nationalsozialisten nicht nur das Bauwerk selbst, sondern auch die Erinnerung daran zerstört hatten: fast alle Pläne der Synagoge wurden vernichtet, es waren kaum noch Fotografien vorhanden. Um so wichtiger erscheint es uns, einen eigenen Beitrag dazu zu leisten, das Gebäude und die damit verbundene Geschichte vor dem völligen Vergessen zu bewahren.

 

 

Motivation

Wir möchten mit unserer Arbeit ein Bauwerk, von dessen Existenz viele Menschen bisher kaum etwas gewußt haben, wieder ins Gedächtnis holen und für alle sichtbar machen. Hier geht es jedoch nicht nur um die Rekonstruktion eines zerstörten Gebäudes. Die Pogromnacht, in der die Synagoge niedergebrannt wurde, bildete vor allem den Auftakt für die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger - auch in Wiesbaden. Daher betrachten wir die Rekonstruktion der Synagoge am Michelsberg nicht einfach als eine abstrakte Architekturaufgabe, die es zu lösen gilt. Das vorrangige Anliegen unserer Arbeit ist es vielmehr, durch sie an die Menschen zu erinnern, die einst mit der Synagoge verbunden waren.

 

Recherche & Umsetzung

Da uns bei Projektbeginn kaum dokumentarisches Material über die Synagoge zur Verfügung stand, mußten wir vor Baubeginn intensiv recherchieren.

Als besonders hilfreich erwies sich hierbei Paulgerd Jesbergs Aufsatz aus dem Buch "Begegnungen". Außerdem stellten uns das Wiesbadener Stadtarchiv, die Sammlung Nassauischer Altertümer, das Hauptstaatsarchiv und der Förderverein "Aktives Museum Deutsch - Jüdischer Geschichte in Wiesbaden e. V." alle noch vorhandenen Unterlagen aus ihren Archiven zur Verfügung. Eine große Anzahl von historischen Aufnahmen der Synagoge erhielten wir außerdem als Leihgabe von Wiesbadener Bürgern. In Wiesbaden nicht bekannte, für die Rekonstruktion des Innenraums außerordentlich wichtige Photos konnten durch aufwendige weltweite Recherchen wie z.B. in Paris und in den Vereinigten Staaten entdeckt werden.

 

Basierend auf den von Paulgerd Jesberg dargelegten Geometriestudien zur Synagoge wurden im Sommer '98 Grundrisse und Ansichten erstellt. Im nächsten Arbeitsschritt wurde das Bauwerk in Bausegmente zerlegt. Diese konnten nun einzeln bearbeitet und nach Fertigstellung wieder zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Um die einzelnen Baudetails erfassen zu können, mußten zunächst alle vorhandenen Fotografien mit der Lupe analysiert und in maßstäbliche Pläne übertragen werden. Die so ermittelten Konstruktionsdaten wurden dann, in Form eines dreidimensionalen Gitternetzes, auf die Computersysteme übertragen. Im Anschluß konnten sie mit materialgerechten Oberflächen belegt werden. Da von der Synagoge nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen existieren, mußten wir in Bezug auf die Farbgebung zunächst spekulativ vorgehen. Unsere anhand von Literatur und Vergleichsbauten getroffenen Farb- und Materialvorstellungen wurden allerdings immer wieder mit Zeitzeugen besprochen und modifiziert. Hierbei war die Unterstützung von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden von unschätzbarem Wert. In der zweiten Projektphase konnte nach der mehrmonatigen Vorarbeit der Baukörper rekonstruiert werden. Parallel hierzu wurden Ornamente, Wanddekor, Orgel, Innenausstattung und rituelle Einrichtungsgegenstände detailgetreu nachgebildet.

 

 

Nach mehr als 12.000 Arbeitsstunden am Rechner konnte die Innen- und Außenarchitektur der Synagoge schließlich nahezu fotorealistisch visualisiert werden.

Im letzten Arbeitsschritt, mit Beendigung der "Bauarbeiten" am Rechner, wurden die zuvor erstellten Animationen dann in eine Videoproduktion übertragen.

Leitung der Studienarbeit:

Dipl. Des. Edgar Brück

Wissenschaftliche Betreuung:

Prof. Dr. Falk Krebs

Dipl. Ing. Paulgerd Jesberg

Arbeitsteam:

Dipl. Ing. Claudia Bube

Jürgen Eckhardt

Dipl. Ing. Yiliu Fan

Elisabeth Hammerschick

Johannes Henn

Andrea Krausmann

Dipl. Ing. Karin Kümmerer

Marina Leis

Ludowika Mann

Dipl. Ing. Gunter Metz

Barbara Petri

Dipl. Ing. Renate Scheurer

René Stichel

Dipl. Ing. Petra Thonhofer

Vera Thumm

Dipl. Ing. Ellen Wagner

Susanne Wilhelm

Öffentlichkeitsarbeit:

Susanne Domenech

Heidi Epstein

Elisabeth Hammerschick

Thorsten Kram

Thomas Landahl

Mario Lorenz

Christian Moersch

Lars Pribrsky

Simone Steis

René Stichel

Florian Stryi

Jenny Theis

Vera Thumm

Dokumentation Teil 1:

Dipl. Ing. Ellen Wagner

Susanne Wilhelm

Barbara Petri

Unterstützung

Nachdem die Gruppe "memo 38" mit ihrem "Bauvorhaben" an die Öffentlichkeit getreten war, erklärten sich neben der Stadt Wiesbaden und der NASPA Kulturstiftung "Initiative und Leistung" auch die Fachhochschule Wiesbaden und die Architektenkammer Hessen dazu bereit, das aufwendige Projekt finanziell zu unterstützen.

Um dem Anspruch der Projektarbeit gerecht zu werden, eine originalgetreue, maßstabsgerechte und räumliche Rekonstruktion der Synagoge zu erreichen, war der Einsatz hochentwickelter Computertechnologien die unabdingbare Voraussetzung.

Erst durch die Unterstützung einiger engagierter Firmen, die zusätzliches Know-how sowie Hard- und Software zur Verfügung stellten, wurde die technische Qualität der Studie gewährleistet.

So konnten wir bei unserer Arbeit INTERGRAPH-Workstations verwenden. Des weiteren kamen DIAMOND -3D-Graphikkarten sowie das Softwareprogramm 3D Studio Max von KINETIX zum Einsatz. Durch den Wissenstransfer und die Dienstleistungen der Firmen UPSTART! - Animation & Visual Effects, .ing.team und IVT-postproduction house GmbH konnte auch bei der Videoproduktion ein professioneller Standard erreicht werden. Die Design-Agentur BLUE LABEL unterstützte uns durch die Leihstellung von Computer- und Netzwerktechnologie sowie bei der Gestaltung und Umsetzung der Web-Page und diverser Printmedien. Vistec Internet Service (Provider) stellte uns den Platz für eine eigene Homepage mit einem schnellen Internet-Zugang zur Verfügung.

 

 

Wir Danken

Stadt Wiesbaden

NASPA Stiftung "Initiative und Leistung"

Architektenkammer Hessen

Fachhochschule Wiesbaden

INTERGRAPH

Kinetix

DIAMOND Multimedia

IVT postproduction hous GmbH

UPSTART! Animation & Visual Effects

Vistec Internet Service GmbH

Blue Label Designagentur

Polaroid

.ing.team.

ALTUMAX

Papier Ludwig

Kimmerle Gerüst und Schalungsverkauf

IMAGECOM

Gönner und Gassner Digitaldruck

PAPIER UNION

ELSA

Aktivitäten

Die gesamte Studienarbeit gliedert sich in zwei Phasen: die virtuelle Rekonstruktion der Außenarchitektur und die innere Erscheinung der Synagoge.

Abschluß und zugleich Höhepunkt des ersten Bauabschnitts war eine Videofassung der Außenarchitektur. Anläßlich des 60. Jahrestages der Pogromnacht wurde sie während der Gedenkveranstaltung am Abend des 9. Novembers 1998 am ehemaligen Standort der Synagoge, am Michelsberg, der Öffentlichkeit auf Großleinwandformat präsentiert. Nach einem weiteren Bearbeitungsjahr wurde die Innenraumrekonstruktion der Synagoge am 9. November 1999 - während der Gedenkveranstaltung zum 61. Jahrestag der Zerstörung - als Videofilm gezeigt. Mit Abschluß der zweiten Bauphase ist das imposante Gotteshaus jetzt zumindest virtuell "begehbar".

Anschließend konnten Interessierte jeweils die Arbeiten in einer Containerausstellung kennenlernen.

Bisherige Präsentationen:

in der Fachhochschule, Wiesbaden

Besondere fachliche Anerkennung erfuhr das "memo 38"-Team in Stuttgart durch die Auszeichnung mit dem "animago 3D Award' 99" für die beste Architektur-Computeranimation.

Einladung

Wenn Sie mehr über unsere Aktivitäten erfahren möchten, können Sie uns gerne an der Fachhochschule besuchen und uns bei der Arbeit über die Schulter schauen. Für kleinere Gruppen (Schulklassen usw.) können wir auch spezielle Präsentationen vorbereiten. Rufen Sie uns einfach an und vereinbaren Sie einen Termin mit uns.

Die bisherigen Arbeitsergebnisse können Sie erwerben:

VHS-Video mit Computeranimation DM 38,--

Dokumentation mit zahlreichen Abbildungen DM 28,--

CD-Rom, AVI-Filme, Bilder, Informationen DM 30,--

Postkartenserie, acht verschiedene Motive DM 10,--

...oder besuchen Sie uns auf unserer ständig aktualisierten Homepage:

http://www.memo38.de